Einplatinencomputer StarFive VisionFive 2 mit RISC-V-Chip | ct (2024)

RISC-V-Raspi (Beta)

Weltpremiere: Der VisionFive 2 aus China ist der erste bezahlbare Raspberry-Pi-Konkurrent mit Linux-tauglichem RISC-V-Prozessor. Der Test zeigt jedoch, dass die Software noch viel Arbeit braucht.

Von Christof Windeck

Die offene Befehlssatzarchitektur RISC-V weckt Hoffnungen auf Alternativen zu den allgegenwärtigen ARM- und x86-Prozessoren. RISC-V-Technik ermöglicht im Prinzip die Entwicklung komplett offengelegter Chips und ist ohne einschränkende Lizenzbedingungen nutzbar [1]. Doch erst jetzt, 13 Jahre nach der RISC-V-Vorstellung, kommt mit dem StarFive JH7110 ein System-on-Chip (SoC) mit RISC-V-Technik, das es halbwegs mit jenen ARM-SoCs aufnehmen kann, die auch den Raspberry Pi antreiben. Mit dem JH7110 bestückt die chinesische Firma StarFive ihren Einplatinencomputer VisionFive 2; er orientiert sich unübersehbar am Raspi, allerdings ist seine Platine rund 60 Prozent größer.

Seit Ende Dezember liefert der Hersteller die ersten Vorserienmuster aus, die man im August 2022 als „Early Bird“-Teilnehmer einer Kickstarter-Finanzierung bestellen konnte. Bald soll der VisionFive 2 auch im Onlinehandel erhältlich sein – etwa bei Amazon. Wir konnten eines der Vorserienmodelle testen. Der Unterschied zum Serienprodukt: Nur einer der beiden Ethernet-Ports ist gigabitfähig. Aber das ist nicht der einzige Haken des RISC-V-Vorboten.

Gemeinschaftsprojekt

StarFive steuert auch den wichtigsten Chip zum VisionFive 2 bei, den JH7110. Darin rechnen vier RISC-V-Kerne vom Typ U74-MC, die das US-Unternehmen SiFive entwickelt hat. StarFive wurde von SiFive mitgegründet, um die RISC-V-Technik in China voranzutreiben. Der Grafikkern im JH7110 stammt wiederum von der britischen Firma Imagination Technologies, deren PowerVR-GPUs in den ersten iPhones steckten. Imagination gehört seit einigen Jahren chinesischen Investoren. Die Fertigung des JH7110 übernimmt der taiwanische Gigant TSMC mit 28-Nanometer-Technik.

Im JH7110 sitzen noch zwei weitere RISC-V-Kerne, die interne Steuerungsaufgaben erledigen. Außerdem sind wie bei vielen modernen Systems-on-Chip (SoCs) mit ARM-Kernen zahlreiche weitere Controller eingebaut, etwa für Gigabit Ethernet, PCIe 2.0, USB 2.0, I2C, SPI und SDIO. Zudem gibt es Videode- und -encoder sowie einen Audio-DSP.

Der VisionFive 2 hat auch die Raspi-typische GPIO-Leiste mit 40 Pins, aber ihr fehlen einige Funktionen wie etwa I2S. Außerdem gibt es keinen WLAN-Chip auf dem Board. Anders als der Raspi hat der VisionFive 2 auf der Unterseite eine M.2-Fassung für eine SSD. Sie ist freilich nur mit einer einzigen PCIe-Lane angebunden, an der zweiten hängt der USB-3.0-Controller.

Der JH7110 verwendet LPDDR4-2800-Speicher, der niedriger taktet als etwa beim Raspi 4. Unser Vorserienmodell war mit 4 GByte bestückt, Varianten mit 2 und 8 GByte sind geplant. Einen Monitor steuert der VisionFive 2 über eine normal große HDMI-Buchse an. Strom liefert man ihm per USB-C-Buchse. Ein 5-Volt-Netzteil genügt, aber wenn man eines mit USB Power Delivery (USB-PD) anschließt, nimmt das Board auch 9, 12 oder 15 Volt. Das klappte im Kurztest allerdings nicht mit jedem USB-PD-Netzteil. Die Platine des VisionFive 2 ist minimal größer als das PicoITX-Format (10 cm × 7,2 cm).

Genau wie ein Raspi bootet der VisionFive 2 von einer MicroSD-Karte. Es ist aber auch ein Steckplatz für ein eMMC-Modul vorhanden. Booten von USB und M.2-SSD ist bisher nicht möglich.

Hakeleien

Die vier U74-Kerne sind zur RISC-V-Spezifikation RV64GC kompatibel, die sich als Basisanforderung für Linux etabliert hat. Einige Linux-Distributionen arbeiten bereits an angepassten Varianten für RISC-V-Boards, der VisionFive 2 dürfte eines Tages etwa unter Ubuntu laufen. Doch so weit ist es noch nicht.

Bisher muss man wie bei vielen Rockchip-Bastelboards ein vom Hersteller handgeklöppeltes Linux-Image herunterladen und auf eine MicroSD-Karte schreiben – etwa mit BalenaEtcher. StarFive liefert das Image auf Basis von Debian (mit angepasstem LTS-Kernel 5.15.0 und XFCE-Desktop) entweder per Torrent oder via Google Drive aus, in China per Baidu. Leider ist es über 6 GByte fett und kommt entpackt auf 16 GByte. Man braucht folglich mindestens eine 16-GByte-Speicherkarte.

Beim Vorserienmuster bootet das aktuelle Imageversion 69 nicht einmal. Zuvor muss man in einer komplizierten Prozedur den Bootloader im SPI-Flash updaten. Das soll bei den Serienboards nicht mehr nötig sein.

Das Image braucht 35 Sekunden zum Booten, dann meldet man sich als „root“ mit dem vorgegebenen Passwort „starfive“ an, die Lokalisierung ist auf Englisch voreingestellt. Das hängt weit hinter dem Komfort und den Sicherheitsvorgaben großer Distributionen zurück.

An einem 4K-Monitor lieferte das Board kein Bild, aber mit einem Full-HD-Bildschirm klappte es problemlos. Die XFCE-Oberfläche reagiert allerdings so träge, dass es schwierig ist, Symbole mit der Maus anzuklicken. Anscheinend beschleunigt der Grafikkern die 2D-Darstellung nicht. 3D-Beschleunigung per OpenGL-ES funktionierte hingegen und der Benchmark glmark2-es2 erkannte die GPU korrekt.

Der Browser Firefox baute Webseiten sehr langsam auf. YouTube-Videos liefen zwar, ruckelten aber selbst in 360p-Auflösung. Die Audio-Klinkenbuchse lieferte schlechte Signalqualität. Dem HDMI-Ausgang konnten wir kein Audiosignal entlocken, weil es im PulseAudio-Gebälk knirschte.

Die Netzwerkports arbeiten mit der erwarteten Geschwindigkeit. Ein USB-3.0-Stick übertrug Daten mit mehr als 150 MByte/s. Genauer konnten wir nicht messen, weil keine unserer USB-SSDs erkannt wurde. Eine Intel SSD 660p im M.2-Slot lieferte knapp 200 MByte/s; mit manchen anderen NVMe-SSDs gibt es wohl I/O-Probleme.

Laut SiFive sind die 2018 angekündigten U74-Kerne grob mit ARM-Kernen vom Typ Cortex-A55 vergleichbar. Allerdings haben die U74-Kerne wenig Gleitkommarechenleistung und keine mit ARM Neon vergleichbare SIMD-Rechenwerke. Dem Broadcom BCM2711 eines Raspi 4 mit vier ARM Cortex-A72 hinkt der JH7110 also weit hinterher, selbst der BCM2837 des Raspi 3 (4 × Cortex-A53) fühlt sich deutlich schneller an.

Benchmarks bestätigen den Eindruck: Beim Komprimieren und Dekomprimieren mit 7-Zip ist der Raspi 4 mehr als doppelt so schnell wie der JH7110 und bei AES-Verschlüsselung mit openSSL sogar neunmal so schnell.

Doch das ist eine Momentaufnahme. Es ist klar, dass die meiste Linux-Software noch nicht für RV64GC-Kerne im Allgemeinen und die Eigenheiten des JH7110 im Besonderen angepasst ist. StarFive unterstützt Entwickler mit vielen PDF-Dokumenten und direkter Hilfestellung über ein Forum auf dem RISC-V-Portal RVspace. Dort gibt es auch einen Überblick zum Upstream-Status der Linux-Kernel-Patches.

Einige Entwickler verlinken im Forum eigene Linux-Images auf Basis von Ubuntu, OpenSuse und ArchLinux. Diese sind aber nur über eine serielle Konsole von einem anderen Rechner aus bedienbar, indem man einen USB-Seriell-Adapter an den UART-Ausgang anschließt (Pins 8 und 10 der GPIO-Leiste plus Masse an Pin 6). Darüber kann man auch den Bootloader U-Boot bedienen.

StarFive VisionFive 2
Einplatinencomputer mit RISC-V-Prozessor
Hardware-Ausstattung
CPU / Kerne / Takt StarFive JH7110 / 4 × SiFive U74 (RV64GC) / 1,5 GHz
RAM 4 GByte LPDDR4-2800
Grafik (-speicher) Imagination IMG BXE-4-32 (vom Hauptspeicher)
SSD-Steckplatz 1 × M.2 (PCIe 2.0 x1)
Sound-Chip Audio-DSP im JH7110
Netzwerk-Interface (Chip)1 1 × 1 Gbit/s + 1 × 100 Mbit/s (PHYs: Motorcomm YT8531C & YT8512C)
USB-3.0-Hostcontroller VIA Labs VL805 (4 × USB 3.2 Gen 1 (USB 3.0))
Power Management IC (PMIC), Flash X-Powers AXP15060, GigaDevice GD25LQ128ESIG (16 MByte QSPI)
Abmessungen 8,0 cm × 10,1 cm, (Platine 7,4 cm × 10 cm), inklusive Buchsen und M2-Fassung 2,3 cm hoch
Spannungsversorgung USB-C, 5 bis 20 Volt, 15 Watt (USB-PD 2.0)
Anschlussbuchsen 1 × HDMI, 4 × USB-A 5 Gbit/s, 2 × LAN, 1 × Audio-Klinke, 1 × USB-C (Strom)
Anschlüsse onboard 40-pol GPIO, 1 × MIPI-CSI, 2 × MIPI-DSI, 1 × PoE, 1 × Lüfter, Reset-Taster
Steckfassungen / Anschlüsse unten 1 × MicroSD, 1 × M.2, 1 × eMMC (proprietär)
Elektrische Leistungsaufnahme, Datentransfer-Messungen
Soft-Off / Energie Sparen 4,5 W2 / –
Leerlauf mit Full-HD-Monitor an HDMI 3,8 W (ohne Display: 3,3 W; mit Display & Ethernet: 4,3 W)
Volllast: CPU / CPU und Grafik 6,6 / 7,7 W
M.2-SSD lesen (schreiben) 192 (152) MByte/s
USB 3.0 lesen (schreiben)3 >150 (>50) MByte/s
LAN RX (TX) 960 (940) Mbit/s
Systemleistung
openSSL AES-128 ohne / mit AES-NI 9,1 / 9,0 Mbit/s
7-Zip komprimieren / dekomp. 2446 / 5543 MIPS
Preis / Garantie 90 € / k. A.
1 die Serienprodukte sollen 2 × Gigabit-Ethernet haben ✓ funktioniert – funktioniert nicht 2 Soft-off funktioniert anscheinend nicht richtig 3 keine Standarmessung möglich, USB-SSDs nicht erkannt

Closed-Source-Chip

RISC-V ist zwar eine offengelegte Instruction Set Architecture (ISA) und SiFive wirkt eifrig in der RISC-V Foundation mit [1]. Doch weder die Schaltpläne der U74-Kerne, noch Details zum StarFive JH7110 sind offengelegt. Auch das Board ist keine Open-Source-Hardware und der GPU-Kern braucht proprietären Binärcode. Imagination Technologies verspricht zwar quelloffene Treiber, nennt dafür jedoch keinen konkreten Zeitplan.

Ein von Preis und Leistung zum chinesischen JH7110 vergleichbares RISC-V-SoC einer europäischen oder US-amerikanischen Firma ist bisher nicht in Sicht. Anscheinend arbeitet aber etwa die Firma NXP an RISC-V-Kernen. Doch der Traum eines offengelegten und somit besonders vertrauenswürdigen Chips, der Linux (oder BSD) ausführen kann, ist noch in weiter Ferne.

Fazit

Es funktioniert: Linux läuft auf dem RISC-V-SoC StarFive JH7110. Der VisionFive 2 taugt bisher aber noch nicht für Bastelprojekte oder gar als Desktop-PC-Ersatz. Es hakelt und ruckelt an allen Ecken. Dem Umfang und der Reife des Raspberry-Pi-Ökosystems hinkt der RISC-V-Rechner meilenweit hinterher. Jetzt müssen erfahrene Linux-Entwickler ran und fleißig Software optimieren. Erst, wenn eine größere Linux-Distribution wie Ubuntu, Fedora oder Debian kompatible Images liefert, wird der VisionFive 2 für Schrauber attraktiv. Trotzdem ist er ein Meilenstein der RISC-V-Geschichte: Endlich steht bezahlbare RISC-V-Hardware für Linux bereit. (ciw@ct.de)

Einplatinencomputer StarFive VisionFive 2 mit RISC-V-Chip | ct (2024)
Top Articles
Latest Posts
Recommended Articles
Article information

Author: Patricia Veum II

Last Updated:

Views: 5396

Rating: 4.3 / 5 (44 voted)

Reviews: 91% of readers found this page helpful

Author information

Name: Patricia Veum II

Birthday: 1994-12-16

Address: 2064 Little Summit, Goldieton, MS 97651-0862

Phone: +6873952696715

Job: Principal Officer

Hobby: Rafting, Cabaret, Candle making, Jigsaw puzzles, Inline skating, Magic, Graffiti

Introduction: My name is Patricia Veum II, I am a vast, combative, smiling, famous, inexpensive, zealous, sparkling person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.